Den Moment genießen. Und das Leben.
In den letzten Tagen habe ich viel darüber nachgedacht, warum es jetzt schon so ungewöhnlich lange still um mich ist. Seit fast 2 Jahren kein Blogartikel oder Newsletter mehr, und auch auf Social Media gab es seit letztem März nur einen Post.
Noch vor ein paar Jahren war so lange Stille bei mir ein untrügliches Zeichen dafür, dass es mir nicht gutging, dass ich Zeit für mich brauchte und mein Wohlergehen wichtiger war als das In-Kontakt-Bleiben mit meinen Kund:innen und Leser:innen.
Aber jetzt ist das anders. Es geht mir gut. Sehr gut sogar. Und das jetzt schon seit bald vier Jahren. Tatsächlich habe ich seit meiner Stoma-OP im März 2020 so gut wie keine gesundheitlichen Probleme mehr. Zumindest nicht mehr als jede:r andere auch.
Was war also los? Ich denke, für meine Funkstille gibt es drei Gründe:
1. Es ist leiser in meinem Kopf
Wähend meiner Ausbildungszeit und auch später, während ich meine großen gesundheitlichen Herausforderungen bewältigt habe, hatte ich stände etwas zu sagen. Ich habe damals viel über mich gelernt, wichtige Zusammenhänge verstanden, hatte zahlreiche Aha-Erlebnisse und war immer wieder erstaunt, wie mir mein Körper zeigt, was er braucht. All das war ständig in meinem Kopf – und immer dann, wenn ich das Gefühl hatte, dass ich wieder einen kleinen Baustein verstanden habe, musste ich das unbedingt teilen. Musste all die bereichernden Erkenntnisse loswerden und in die Welt hinausschreien, weil mit klar war, dass auch du und viele andere Menschen davon profitieren können.
Seit es mir aber so gut geht, und ich die wichtigsten Erkenntnisse aus meiner aktiven Endometriose-Zeit und rund um meine Stoma-Anlage in zwei Büchern verarbeitet und in die Welt hinausgeschickt habe, ist all das nicht mehr so präsent in meinen Gedanken. Ich habe also auch nicht mehr ständig das Gefühl, etwas sagen zu müssen.
2. Mein Fokus ist wo anders
Seit mehreren Jahren arbeite ich nun schon an einem neuen Buchprojekt. Diesmal nicht an einem Sachbuch, tatsächlich versuche ich mich an meinem ersten Roman. Das war am Anfang, als ich den Entschluss gefasst hatte, ganz schön einschüchternd, weswegen ich lange gar nicht darüber geredet habe. Aber im letztem Jahr wurde die Geschichte immer konkreter, das Manuskript immer länger, und die Wahrscheinlichkeit, dass der Roman auch irgendwann fertig wird, immer größer.
Der kreative Prozess bei diesem Buch ist für mich aber ganz anders als bei den beiden davor. Es ist für mich und den Entstehungsprozess – vor allem jetzt in der Überarbeitungsphase – viel wichtiger, dass ich dranbeibe und mich nicht ablenken lasse. Deshalb habe ich dieses Buchprojekt im letzten Jahr zu einer absoluten Priorität gemacht. Mit dem Ergebnis, dass ich fast fertig bin. Und weil ich so konzentriert war und ohnehin dauernd am Schreiben, blieb für Blogposts, Newsletter und Social Media einfach kein Raum.
3. Ich genieße das Leben
Der wichtigste Grund – und das wurde mir in den letzten Tagen, in denen ich diesen Post in meinem Kopf vorbereitet habe, immer klarer – ist auch der schönste. Vor vier Jahren, genauer in den Monaten bevor ich mein Stoma bekommen habe, ist mir klar geworden, dass ich mich selbst mein Leben lang viel zu sehr unter Druck gesetzt habe. Ich hatte ständig Ziele, To-do-Listen, Vorhaben, Zeitpläne, und dazwischen oft eine hängende Zunge. Und wenn ich etwas nicht erreicht habe, oder nicht dann, wann ich es mir vorgenommen hatte, habe ich mir Vorwürfe gemacht, und war nicht wahnsinnig nett zu mir selbst.
Von außen hat man das damals nicht wirklich gemerkt. Ja es war mir selbst lange Zeit nicht klar, dass mir meine fixen Vorstellungen davon, wie ich wann was in meinem Leben erreichen wollte, mehr schlecht als gut getan haben. Natürlich war das damals ein komplexer Prozess, aber ich habe beschlossen, anders mit mir umzugehen.
Klar habe ich auch heute noch Ziele. Aber es sind mehr Visionen als starre Pläne. Ich habe Träume, an deren Verwirklichung ich arbeite, aber keine täglichen oder wöchentlichen To-do-Listen mehr. Früher habe ich gedacht, ich brauche diese Struktur zum Funktionieren. Heute weiß ich, dass sich das Leben ohne Korsett viel leichter lebt. Ich genieße mehr. Lasse öfter einmal Nichtstun zu, statt micht nach den Vorgaben meiner Uhr und meines Kalenders zu richten.
Genüsslich statt „richtig“!
Statt starren Vorstellungen, wie ich mein Leben „richtig“ zu gestalten habe, was ich auf jeden Fall muss und im Gegensatz dazu tunlichst zu meiden habe, wenn ich (z.B.) meiner ganz klar feministischen Grundeinstellung gerecht werden will, kann ich jetzt endlich auch die Privilegien und den Komfort meines aktuellen Lebens genießen. Mehr in den Tag hineinleben, auch mal alle Fünfe gerade sein lassen, und mir nicht selbst böse sein, wenn ich schon wieder eine ganze Woche lang nicht an meinem Roman gearbeitet habe.
Es ist nicht so, dass ich das Genießen erst lernen musste. Ich war immer ein Genussmensch, dem die kleinen Freuden des Alltags sehr bewusst waren. Ich kann zuerst aus Verzweiflung und fünf Minuten später vor Freude über Sand zwischen den Zehen und Wasser auf meiner Haut weinen. Ich kann gleichzeitig unter Schmerzen leiden und genüsslich die Augen schließen, wenn ein wunderbar molliger Schluck Hafermilchkaffe über meine Zunge gleitet. Ich konnte schon immer den Moment genießen. Und jetzt endlich auch das Leben.
Warum ich dir das alles erzähle?
Weil ich weiß, dass viele meiner Leser:innen chronisch krank sind und immer wieder große Herausforderungen zu bewältigen haben. Und all jenen, die momentan möglicherweise eine harte Zeit durchleben, möchte ich sagen: Stopf dir die Phasen, in denen es besser geht, in denen alles leichter wird, in denen du wieder Hoffnung schöpfst, nicht mir Pflichten voll. Nur weil du „wieder besser funktionierst“, musst du nicht auch wieder leisten, liefern und Vorstellungen gerecht werden. Du hast das Recht, es dir auch einfach mal gutgehen zu lassen, ein schönes Leben zu leben und zu genießen. Also mach es auch!
Foto von Felix Rostig auf Unsplash
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